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Sonntag, 22. November 2015

Storytelling im wirtschaftlichen Kontext

Nach der Darstellung der Grundlagen rund um Storytelling stellt sich die Frage, wie sich das nun alles in das wirtschaftende Umfeld transferieren und umzusetzen lässt. Als erstes Beispiel wenden wir uns der Firma Apple zu und schauen uns etwas genauer an, wie sich das Unternehmen seit seiner Gründung bis heute entwickelt und verhalten hat und welche Geschichten die Firma erzählte, die wir heute alle kennen.
Faktisch kann jeder Wachstumsschub bei Apple durch die Lancierung eines Produktes nachgewiesen werden. Zudem erklärte Apple zum zweiten Quartalsabschluss 2012, bis dato über 1 Milliarde Dollar für Werbung ausgegeben zu haben. Apple hat wahrlich kommuniziert und nur hinter dem Ofen behalten, was die Firma dort auch behalten wollte. Sie hat also auch eine Art Versteckspielen gespielt und damit alles getan, dass Spekulationen wild spriessen konnten. Manchmal, nicht oft, intervenierte Apple, wenn die Fantasie der Fans ins Kraut schossen.
Betrachten wir aber die Konstellationen nach den Kriterien des Storytelling, so erkennen wir, dass da wenig Zufälle, aber sehr viele Einfälle hinter dem Erfolg steht. 
Grundsätzlich kann man die Firma Apple und ihren Protagonisten und eine Antagonisten in das folgende dramaturgische Raster einpassen.
Jobs steht als zentraler Akteur im Mittelpunkt. Er stellt Apple dar, er ist Apple‘s Guru, er ist Apple. Sein erklärtes Ziel ist es, die Menschen glücklich zu machen und ihnen sinnvolle und schöne Produkte zur Verfügung zu stellen. Er tut dies nicht alleine, ihm steht ein sehr schlagkräftiger Support zur Seite. Sie tun alles, um ihrem Chef zu gefallen. Ihnen stehen die Gegenspieler gegenüber wie IBM, Microsoft in den alten Tagen und heute sind es Google und Samsung, die Apple das Geschäft mies machen wollen. Vor diesem Hintergrund ist auch die Klage gegen Samsung zu verstehen, der im August mit einem Schuldspruch und einer Strafe über 1 Mia. $ zu Ende ging. Die unmittelbare Folge für Samsung war fatal. Der Aktienkurs fiel am Folgetag über 8%, während der von Apple um über 2% stieg. Die Branche kommentierte in der Folge, dass dieser Entscheid für die ganze Digitalbranche schwere Konsequenzen haben wird. Samsung will zwar weiter kämpfen und das Urteil weiterziehen. Doch Google und alle anderen auf Android setzenden Firmen werden sich wohl hüten, eine Klage von Apple zu riskieren und werden sich daran machen, die Benutzerschnittstellen anzupassen. Profitieren könnte Microsoft und Nokia, die bereits ein anderes Smartphone-Betriebssystem haben. Sicher aber wird Apple von der Situation am meisten profitieren können.

Auf dieser Ebene spielt also ein Teil der Geschichte. Es wird gemeinhin Wettbewerb genannt. Weil wir ein Gesicht für Apple kennen, empfinden viele anders als wenn zwei anonyme Grossunternehmen einander gegenüberstehen.
Der Benefactor (Wohltäter) in diesem Spiel ist Apple. Ihr haben wir letztlich zu verdanken, dass der Held sein Ziel erreichen kann. Und der Begünstigte (Beneficiary) sind die Geeks und letztlich wir alle, die Freude an den Apple Produkten haben. Besser kann man ein derartiges Stück nicht inszenieren.
Besser nicht, aber anders. Auch in der Schweiz. 





Zum Beispiel bei  IWC International Watch Co. in Schaffhausen arbeitet konsequent mit Mitteln des Storytelling. 
Auf Youtube verbreitet IWC mehrere Videos. So zum Beispiel „Book of Dreams“. Eine Geschichte die auf dem Gründer von IWC aufbaut, dem amerikanischen Uhrmacher und Ingenieur Florentine Ariosto Jones, der IWC 1868 gründete. Die Geschichte gründet auf einem imaginären Tagebuch von Jones. Mit diesem Video legt IWC eine Grundlage vor, die die Richtung anzeigt, in der es weiter gehen wird, ohne dabei alles zu verbauen oder sich in der Kreativität einschränken zu lassen.
IWC kann sich jederzeit von der Unternehmensebene lösen und sich ganz den einzelnen Kollektionen widmen. Der gemeinsame Nenner ist die jeweilige Definition eines Produktuniversums, das zwar an die Vergangenheit andockt, aber eine ganz eigene Identität für jede Produktfamilie entwickelt. 
So gemacht mit der Uhrenfamilie Portofino die in die 50er Jahre zurückreicht. Das Flaggschiff ist die goldene Portofino im Wert von ca. CHF 25‘000. Sie sollte anlässlich dem 22. Salon International de la Haute Horlogerie in Genf neu positioniert werden.
Georges Kern, dem jetzigen CEO von IWC schwebte ein Traum vor, der  den Glamour der 50er und 60er Jahre aufleben liess und den heutigen Paris-Hilton-Glimmer, wie er es nannte, vergessen liess.
Da IWC während dem Salon International de la Haute Horlogerie 50-60% des Jahresumsatzes realisiert, sollte es etwas Unvergessliches und Unvergleichliches gleichzeitig werden. Das Budget schien nicht wirklich eine Rolle gespielt zu haben. Besonders bemerkenswert ist, dass die Aufgabe nicht einer externen Werbeagentur übertragen wurde, sondern dass man alles was folgt in einem Dreierteam inhouse realisiert hat. Es sei vorweggenommen, IWC gab nicht einen einzigen Franken für Werbung aus. Das ganze Budget ging in einen einzigen grossen Event.

Dieser wurde nach jeder Regel der Kunst durch inszeniert und nichts dem Zufall überlassen. Dreh- und Angelpunkt wurde der bekannte deutsch-polnische Fashion-Fotograf und Filmer Peter Lindbergh.
Ausgehend von alten Fotobüchern über Portofino bestand die Idee darin, das alte Portofino-Gefühl in die Neuzeit zu holen und es damit wieder aufleben zu lassen. Das Projekt wurde „Days in Portofino“ getauft.

Lindbergh sollte während eines Weekends eine Schar von Berühmtheiten im Stil der 50er Jahre fotografieren. Mit den Ergebnissen wollte man dann in Genf und über den Erdball verteilten Hotspots Vernissagen organisieren und die dortigen VIPs 
Ausschnitt aus der Webseite von www.iwc.com und Medien einladen und in die Welt von Portofino entführen. Auftakt war eine ausgedehnte Fotosession inmitten von Portofino an der Riviera von Italien. Anwesend waren neben der Lindbergh-Equipe Cate Blanchett, Kevin Spacey, Ella Machperson, Jean Reno, Marc Foster, Ronan Keating, Ziehenden Zidane u.a.. Entstanden sind ein Film und zahlreiches Fotomaterial, alles in schwarz/weiss gehalten, das später die Ausstellungen bestücken sollte. Während der Fotosession tauchten nicht nur zahllose Zaungäste auf, sondern auch unzählige Paparazzi, die sich die Chance nicht entgehen lassen wollten. Diese wurden nicht bestellt. Es hatte sich in Windeseile herumgesprochen, wer sich da auf der Piazza und den Hotels tummelte.
Nächster Schritt der Inszenierung war dann die Ausstellungshalle von IWC am Salon in Genf. Dieser wurde selbstredend im Stile oProtofinis der 50er Jahre ausgestaltet. Das Personal vom Gelato-Verkäufer bis zum Fischer natürlich in Originalkostümen in jener Zeit. Dann der Auftritt der Prominenten, darunter nun auch Arsen Wenger oder Paulo Coelho die sich mit den Ausstellungsbesuchern mischten und gemeinsam mit ihnen die Bilder aus Portofino betrachteten.
Dritter Schritt der Massnahme war die grosse IWC-Portofino-Party im Opernhaus Zürich, wo alles hergerichtet wurde, um auf höchstem musikalischem Niveau einen klassischen italienischen Abend zu verbringen. Noch einmal der Auftritt der Granden aus Sport, Film und Musik. Zu den bisherigen Gästen gesellten sich Luis Figo, Joachim Löw, Claude Nobs, Boris Becker u.a.. Als Höhepunkt des Abends präsentierten sich die berühmten Gesichter  vor 50-60 Fotografen und 20 TV-Stationen aus aller Welt. Die insgesamt 900 Gäste erlebten eine grandioses Fest auf Tuchfühlung berühmter Menschen. Die Bilder davon zeugen noch heute im Internet von diesem bedeutenden Anlass. Bedeutend für wen? Selbstredend für IWC, die errechnet hat, dass die mediale Resonanz den 15 fachen Wert darstellte als das Budget für diese Geschichte.
Und so fährt auch heute noch IWC auf dieser Schiene der emotionalen Video's. Davon zeugt die schier unendliche Sammlung auf dem IWC-YouTube-Channel.
Hier das erfolgreichste Video von allen mit sagenhafter Streuung:

Zusammenfassend kann vermerkt werden, dass ein Luxusgut ein reines emotionales Produkt ist, dem nichts Rationales anhaftet. Demgegenüber ist das Image eines Luxusproduktes alles. Einen derartigen Brand aufzubauen, kostet beliebig viele Millionen Franken. Wie anders als mit Storytelling kann man also solche Träume aufbauen und verbreiten? 


Es könnte nun leicht der Eindruck entstehen, dass Storytelling nur von entweder weltweit oder im Luxussegment agierenden Firmen praktiziert wird. Unter den Grossen gibt es auch einen Kleinen. Wir finden ihn in Oberried bei Köniz, Bern, resp. dort war er zu finden bis im November 2011, bevor er CEO und VR-Delegierter der BMC Group in Grenchen wurde. Hauptaktionär der Gruppe ist Andy Rihs, bekannt als Besitzer der Phonak AG und Mitbesitzer des Super-League-Fussballclubs Young Boys (YB) sowei des Stade du Suisse in Bern.

Die Rede hier ist von Thomas Binggeli, der mit 17 Jahren begonnen hatte „Thömus Veloshop“ auf- und auszubauen. Ein Selfmade-Man wie er im Büchlein steht und üblicherweise eher in den USA vermutet wird als im ländlichen Bernbiet.
Binggeli begann 1994 mit dem Handel von Fahrrädern bevor er anfing eine eigene Produktion aufzubauen. Eine erste Kleiderkollektion namens Homeboy ging ziemlich schief, schien ihm und seinen Mitarbeitern aber eher Auftrieb zu verleihen, weil man aus den Fehlern rasch lernte. Der zweite Versuch, eine eigene Kleidermarke zu lancieren, klappte besser.
Der nächste Meilenstein bestand in der Lancierung des „Stromers“, einem Elektrobike. Binggeli besuchte davor Apple in Cupertino und als er nach Hause kam, sagte er zu seinem Bruder, er wolle ein Fahrrad bauen, das wie ein Apple iPhone einfach alles kann und auch so aussieht wie eines. Es gelang Binggeli tatsächlich ein Elektrobike  rechtzeitig auf den Markt bringen, das völlig anders aussah als alle anderen. Der „Stromer“ versetzte ihn letztlich in die Position, die ihn an die Spitze der Fahrradmarken BMC und Bergamont brachte. Der Vorgang liess die Medien darüber spekulieren, ob Andy Rihs mit Thomas Binggeli seinen möglichen  Nachfolger in Position brachte. Heute weiss man, dass es nicht geklappt hat.

Nun ist es ja nicht so, dass Binggeli in den letzten Jahren in der Schweiz der einzige Kleinunternehmer war, der Fahrräder baute und Elektrobikes designte. Doch was Binggeli eben anders machte, erkennt man in einem älteren Zeitungsbericht in der „Solothurner Zeitung“ aus dem Jahr 2007.
Binggeli erzählte seine Geschichte wie es zu seinem Unternehmen gekommen ist mit Witz und gebührender Selbstironie. Andernorts ist zu lesen, dass er, um seinen ersten Veloshop einrichten zu können, die letzten Schafe vom Bauernhof seiner Eltern verkaufte, als diese in den Ferien weilten.  Fragt man bei Thomas Binggeli nach, dann beteuert er diese Version der Geschichte. Wahr oder nicht wahr, ob es genau so gewesen ist, spielt eigentlich keine Rolle, denn die Geschichte passt gut zu dem was Binggeli sonst repräsentiert. Das erkennt man gut auf seiner Webseite.
Während die eigentliche Homepage farbig, animiert und animierend daher kommt, erkennt man in der Fusszeile dieser Seite das ganze Profil dieses Unternehmens, das mittlerweile über 90 Mitarbeitende zählt.
Binggeli scheut sich nicht, das in der Schweiz etwas einseitig begleite Wort „Burezmorge“ für seine Zwecke zu benutzen. Gleichzeitig fehlt nicht ein einziges Element, das heute Sozial Media ausmacht.
Für Binggeli ist Sozial Media offensichtlich nicht nur ein Fenster in die Welt. Er durchschreitet dieses Fenster auch. Weil sich die Geschichte mit dem Bauernsohn verbraucht, muss eine neue her. Binggeli, nicht faul, analysierte die Hollywood-Szene auf der Suche nach dem idealen Markenbotschafter. 



Er bestimmte eine Auswahl und schrieb diese direkt an und offerierte ihnen den „Stromer“. Und siehe da. Es reagierte Leonardo DiCaprio auf das Angebot und kaufte ein. Doch DiCaprio orderte nicht nur 8 Elektrobikes bei Thömu‘s Veloshop, sondern er entpuppte sich nachgerade als bester Verkäufer für Binggeli‘s Produkt in den USA. Inzwischen fahren auch Brad Pitt und Adrien Brody mit dem „Stromer“ durch die Landschaft,
bzw. die Städte. Nicht nur die „SonntagsZeitung“ berichtete über den Coup, sondern die ganze Schweizer Medien kolportieren die Meldung. Wieviele der 4‘400 verkauften „Stromer“ in der Schweiz und von den abgesetzten 3‘800 Einheiten in den USA und Deutschland auf DiCaprio zurück gehen, weiss wahrscheinlich Binggeli selber nicht so genau.

Es war nicht die einzige Geschichte, die der Unternehmer Binggeli in den Jahren seinen Aufbaus erfand und erzählte. Binggeli selber erzählte ein besonderes Erlebnis anlässlich des Berner Marketingtages 2009 mit dem japanischen Unternehmer Yozo Shimano, dessen Fahrradschaltungen und weitere Komponenten fast jedes Fahrrad der Welt ziert, wie folgt.
Er brauchte ein bestimmtes Fahrradteil für seine Mountainbikes das nicht nach seinen Vorstellungen existierte. Er zögerte nicht lange und lud Shimano zu sich nach Oberried ein und unternahm mit ihm einen Mountainbike Ausflug ins Berner Oberland, wo er ihm zeigen konnte, warum es besondere Spezifikationen für seine Mountainbikes brauchte. Shimano liess sich überzeugen und beliefert seither Thömu‘s Veloshop nach dessen Anforderungen. Solche Geschichten sind nicht besonders schwierig zu produzieren. Wichtig ist, dass man sie dann auch erzählt. Binggeli scheint darin ein gewisses Talent zu haben und ist für Journalisten nachgerade eine Fundgrube toller Stories. Folgende Bilder zeigen, dass Binggeli keine Gelegenheit ausliess, die Medien zu bedienen. Das kostete ihn nicht viel Geld. Ab einem bestimmten Punkt war es für ihn auch nicht mehr schwierig. Wir werden die kommenden Jahre sehen, dass die erarbeitete Grundlage ein starkes Fundament darstellt.


Der Fall Danone

51 Millionen Werbebudget hat Danone allein in Österreich in 10 Jahren für die Werbung für Actimel investiert. Grundsätzlich wird mit diesem Budget ein nicht einmal kompletter Satz über alle sich anbietenden Kanäle solange in die Köpfe der Konsumenten gehämmert, bis diese nicht nur den Produktnamen kennen, sondern damit auch noch eine zur "Wahrheit" geronnene Aussage verbinden "Actimel activiert Abwehrkräfte".

Hauptsache, die Konsumenten glauben die Botschaft, hinterfragen sie nicht und kaufen das nächste 
Mal Actimel statt beliebiges Joghurt in der Auslage. Und es funktioniert. 
Das ist eine Geschichte. Ihr Resultat: sie produziert geschätzte 20 Millionen Euro Umsatz mit Joghurt in Österreich, weltweit eine Milliarde Euro. Und das Gefühl bleibt, Danone ist eine gute Firma, sie hilft, Abwehrkräfte zu mobilisieren.
Weil diese Behauptung von Danone, nämlich dass  Actimel mit dem Zusatz von Kleinstlebewesen, den probiotischen Bakterien, gesundheitsfördernd ist, wissenschaftlich nicht belegt ist, hat sich die österreichisch landwirtschaftliche Vermarktungsagentur AMA, die Agrarmarkt Austria Marketing GmbH, nicht nur darüber geärgert, dass die österreichischen Konsumenten lieber französischen, statt österreichischen Joghurt essen, sondern man ist hingegangen und bewirbt die eigenen österreichischen Produkte mit dem Slogan "JEDES Joghurt stärkt ihre Abwehrkräfte".

Man muss an dieser Stelle auch noch erwähnen, dass Actimel viermal mehr kostet als ein herkömmliches Joghurt.
Danone hat sich nicht besonders gefreut über die österreichischen Bauern und ihren Marketingleuten und hat darum geklagt und vor den Richtern auch recht bekommen. Und zwar mit der Begründung, dass mit dem Wort "Jedes" ein Seitenhieb auf die Danone-Werbung vorliege, also Bezug nehme auf die Actimel-Werbung und deshalb unstatthaft sei, weil die Werbebehauptung der AMA unrichtig sei, darum irreführend, zudem die Werbung vergleichend ist und es sich somit um Rufausbeutung handle. Hätte man nur mit den Satz "Joghurt ist gut für die Gesundheit" geworben, wäre das juristisch in Ordnung gewesen und ernährungswissenschaftlich soweit auch belegt.
Auch das ist schon eine Geschichte, und zwar eine mit einem Bösewicht, der sogar von Richtern geschützt wird, werden muss. Natürlich gegen jedes Gerechtigkeitsempfinden eines Normalsterblichen.
Was haben diese beiden Kurzgeschichten mit Storytelling zu tun? An sich nichts und eigentlich doch alles. Danone erzählt uns mit einem halbpatzigen Satz die Geschichte vom karierten Pferd und zwar auf so penetrante Art und Weise, dass sie sich ins kollektive Gedächtnis eingräbt und dort zu einer unreflektierten Wahrheit wird. Dass Joghurt die Darmflora regulieren kann, ist gesichertes Wissen, aber das künstlich erzeugte und zugefügte Bakterien tatsächlich diese Wirkung verstärkt, ist nicht bewiesen. Befremdlich ist, dass die natürliche Milch durch die industrialisierte Behandlung, namentlich durch die Entfettung, so in ihrer Bedeutung für eine gesunde Ernährung in Frage gestellt wird, um dann durch industriell hergestellte Bakterien wieder angereichert zu werden. Zu einem viermal höheren Preis, versteht sich.
Doch diese Fakten verschweigt uns Danone selbstverständlich, freut sich aber sicher über die hohen Gewinnmarge.
Eine richtige Geschichte schreibt die österreichische Vermarktungsagentur AMA, indem sie bewusst, oder unbewusst, wir wissen es nicht, Danone herausfordert und juristische Prozesse provoziert, die sie dramatischerweise auch noch verlieren. Aber, Geschichten sind dann besonders gut, wenn sie auch ein Drama beschreiben. In diesem Fall ist das Drama der letzte Richterspruch. Auf solche Wendungen sind die Medien scharf. Darüber können sie viel schreiben und ihre Formate füllen und die Leser- und Zuschauerschaften an sich binden. Es ist anzunehmen, dass dieses Joghurt-Thema Österreich eine Weile beschäftigt hat und dass am Ende die Österreicher wieder mehr die eher naturbelassenen, im Land selber hergestellten Joghurts gegessen haben und weiterhin essen.
Storytelling ist die Methode, komplexe Zusammenhänge dem Publikum näher zu bringen. Danone könnte zwar gehen und sagen, "Danone macht Joghurts, esst Danone Joghurts". Doch würde das wohl am Kühlfach nicht den Unterschied ausmachen, so dass die Konsumenten kaum mehr Danone Joghurts wählen würden als andere. Darum schafft Danone einen Fanatsienamen für ein Joghurt, schafft damit eine geschützte Marke, man nennt das dann die Unique Communication Proposition UCP und führt dem Joghurt einen Zusatz zu, von dem man behaupten kann, dass er für irgend etwas gesund sei und schafft damit die Unique Selling Präposition USP. Mit beiden Elementen geht man schliesslich in die Werbung, nimmt eine sympathische Symbolmutter, stellt ihr ein Baby an die Seite - mit herzigen Babys und sympathischen Müttern lässt sich schier alles verkaufen - und penetriert damit den Markt.

Würde Danone stattdessen ihre Produkte Functional Food - so nennt man industriell hergestellte Nahrung mit Zusätzen, die eine medizinische Wirkung verspricht, sprich gesundheitliche Vorsorge garantiert - mit einem klinischen Test unterfütterten und von einer staatlichen Stelle geprüften Beipackzettel mit allen chemischen und pharmazeutischen Zusätzen und den entsprechenden Nebenwirkungen verkaufen wollen, so würde sie das nicht im Joghurt-Gestell des Detailhändlers tun, wo das Massenpublikum sich bedient, sondern in der Drogerie oder der Apotheke, wo das Fachpersonal entsprechende Beratung erteilen müsste. Das Absatzvolumen wäre kaum vergleichbar.
Storytelling ist auch die Methode, die Menschen nicht mit Fakten zu überhäufen, den Fakten haben wir in Form von Information tagtäglich im Übermass zu verarbeiten, sondern den Menschen Emotionen zu vermitteln. Eine Geschichte zu erfinden und sie gut zu erzählen birgt die Chance, mit Emotionen viel mehr Fakten zu verbinden ohne diese explizit erwähnen zu müssen. Damit Geschichten funktionieren, brauchen sie eine bestimmte Struktur, sie brauchen Helden und Gegenspieler und sie brauchen eine Kaskade von Konflikten, die der Held oder die Heldin trotz einer immer stärker werdenden Gegnerschaft beilegt und die sich stellenden Aufgaben löst. Als Lesende oder Beobachtende identifizieren wir uns emotional mit den Akteuren und lassen uns viel tiefer auf die Sache ein. Wir sind dann dafür oder dagegen, emotional also beteiligt.
Die AMA stand also vor dem Problem, gegen einen globalen Akteur ihren eigenen Markt zu retten. Werbetechnisch hat eine solche nationale Organisation keine Chance, da weder das nötige Budget noch die Reichweite des Marktes vergleichbar mit den Möglichkeiten eines Global-Players ist. So blieb der AMA quasi nur die klassische Aufstellung: nämlich dort der Grosse, der Goliath, hier wir, der kleine David. Ein kleiner, aber effektvoller Angriff mit Hilfe eines einzigen Wortes brachte den Fall ins Rollen. Zwar verlor man vor den Richtern, doch die Sympathien des Publikums liegen beim David. Mit ihm kann man sich identifizieren, ihm glaubt man seine Not, man unterstützt ihn.
(Storytelling ist auch eine Methode, eine Methode zu erklären. Ich hoffe, mit meiner Joghurt-Geschichte die Dimension "Storytelling" weiter erhellt zu haben.)


Quelle: Vom Verzehr wird abgeraten, Hans-Ulrich Grimm, Droemer-Verlag, 2012


Beispiele für Firmengeschichten
Einmal sensibilisiert, finden sich viele Ansätze für Geschichten, von denen ausgehend sich weitere Geschichten erfinden und weiter spinnen lassen und die damit erst eine Marke ausmachen. An solchen Beispielen lässt sich lernen, die Essenz eines Unternehmens aufzuspüren und ein Gefühl für die Kernaussagen zu erhalten.

Die Beispiele stammen aus dem Luxusgüterbereich, die Quelle ist die Managerzeitschrift „Bilanz“.

Rolex
Markenbotschafter von Rolex sind Roger Federer und Tiger Woods. Der Rolex ist es gelungen, ihren Brand zum Gattungsbegriff der Luxusuhren zu machen und so die ganze Uhrenindustrie zu prägen. Wichtigste Botschaft: Durch Entwicklung neuer Materialien und Technologien die Substanz und Glaubwürdigkeit bewahren. Die Marke mit der Krone steht konsequent im Mittelpunkt der Kommunikation. Über die Firma oder das Management erfährt man nahezu nichts. Die Firma ist im Stiftungsbesitz.

Porsche
Jahrzehntelang konzentrierte sich Porsche nur auf das Produkt Porsche 911er. Ab 1996 wurde die Marke kontinuierlich ausgebaut. Sportlichkeit, Aggressivität und Männlichkeit belieben bis heute die Attribute, die man mit Porsche verbinden soll. Ein überzeugendes und durchgängiges Design zeichnet Porsche aus und garantiert den Wiedererkennungswert. Bisher konnte die Direktive Umweltschutz der Marke Porsche nichts anhaben. 

Prada
Dass hinter Prada eine italienische Familie steht und Miucca Prada an der Spitze des Unternehmens, wissen wohl nur eingefleischte Fans. Sie machte aus dem reinen Lederwarenhersteller um 1913 von ihrem Grossvater gegründeten Unternehmen einen Milliardenkonzern. Prada steht für klare, reduzierte Formen und gedeckten Farben, häufig kontrastiert durch den roten oder weissen Schriftzug. Das puristische Design spiegelt sich auch in den Prada-Boutiquen wider und stärkt so den Markenkern.

Moët & ChandonMoët & Chandon wurde 1743 als Lieferant für König Louis XV gegründet. Heute ist das Haus die prägende Marke der Champagnerindustrie. Diese hat es geschafft, jene Momente im Leben zu besetzen, in denen es etwas zu feiern gibt oder in denen man es sich gut gehen lässt. Moët & Chandon aus Epernay positioniert sich im mittleren Bereich des Luxusmarktes. Der goldene Flaschenhals mit dem roten Siegel ist dabei das Wiedererkennungszeichen.

Patek Philippe
Der Rolls-Royce unter den Uhren, steht Patek Philippe für zeitlose Klassik, was sich besonders im zurückhaltenden Design ausdrückt sowie in kompromisslose Qualität. Die Marke betont den Wert der Tradition, seine Verbundenheit mit Genf und gibt sich einen für die Schweiz leicht untypischen aristokratischen Touch.


Chopard
Im Gegensatz zu Patek Philippe tritt Chopard opulent und glamourös auf. Für den Glamour sorgt Chopard jeweils am Filmfestival Cannes, wo viele Celebrities als Markenbotschafter an der Chopard-Party auftreten. Als Gegengewicht sponsort Chopard seit vielen Jahren das Oldtimer-Rallye Mille Biglia, was der Marke einen historischen Kontext verleiht.


Bulgari
1884 von einem Griechen in Rom gegründet, kombinierte Bulgari von Anfang an griechisches und römisches Design. Als einer der ersten Juweliere versah Bulgari jedes Schmuckstück mit einem deutlichen Branding. Heute zieren Uhren, Parfums, Handtaschen, Krawatten und Hotels das Logo. Bulgari hat keinen Claim, quasi keine Geschichte und reduziert die Kommunikation auf die Wortmarke mit dem charakteristischen V, resp. dem römischen U.

Burberry
Was kann eine Marke dagegen tun, wenn sie von ungewünschter Kundschaft gewissermassen okkupiert wird? So geschehen mit der englischen Marke Burberry, die bevor sie von den britischen Hooligans entdeckt und ausgebeutet wurde, in den 90er Jahren eher eine verstaubte Alte-Leute-Marke war. Der Kreativchef Christopher Bailey verpasste dem Brand eine neue schlichte Eleganz, Gradlinigkeit und vor allem ein gerütteltes Mass an Britishness. Das Markenzeichen, das klassische schwarz-weiss-rot-kamelfarbene Karomuster namens Haymarket Check, gehört zu den meist kopierten der Welt.

Dolce&Gabbana
Die relativ junge Marke Dolce&Gabbana setzt auf eine junge Zielgruppe und steht für das moderne italienische Fashionverständnis. Barocke Üppigkeit neu interpretiert. Der Zenit dürfte mit den Markenbotschafterinnen Madonna, Jennifer Lopez und Christina Aguilera überschritten sein. Ein weiteres Risiko stellen die beiden Gründer Domenico Dolce (* 13. August 1958) und Stefano Gabbana (* 14. November 1962) dar, denen man das angestrebte Rebellenimage auch nur noch bedingt abnimmt.(Quellen: Bilanz, Wikipedia)


Dass Geschichten nicht nur im Luxusgütersegment eine Rolle spielen, zeigt auch das letzte Beispiel „thepurebar.com“.

Veronica Bosgraaf gründete ihr Unternehmen 2006. Ihr Geschäft ist die Produktion von Riegeln aus 100% natürlich belassenen Nahrungsmitteln ohne jeden Zusatz von künstlichen Stoffen wie sie sonst in Functional Food verarbeitet werden. Anfänglich produzierte sie ihre Riegel in der eigenen Küche bis sie eine derart grosse Bestellung erhielt, dass sie sich nach grösserer Produktionskapazität umschauen musste. Heute produziert die Firma Promax Nutrition Corp. in Kalifornien die Bio-Produkte, die sonst eher weniger Wert auf Natürlichkeit setzt. Ihre Riegel decken die Bedürfnisse einer Protein orientierten Klientel ab.

Die „Pure Bars“ vertreibt Veronica Bosgraaf über das Internet in die ganze Welt. Quer über die USA in allen grösseren Städten gibt es sie im Detailhandel.
Binnen sechs Jahren ist die Unternehmerin zur Vorzeige- und Erfolgsfrau geworden. Ihre Rolle orientiert sich heute quasi nur noch auf die Kommunikation, in deren Mittelpunkt sie als Mutter mit ihren Kindern steht. Sie erfüllt die Idealvorstellung einer sich um eine gesunde Ernährung ihrer Kinder besorgten Mutter.
Ein weiteres Beispiel kommt aus der Schweiz, aus Zürich genau. Wir lassen zwei Webseiten für sich sprechen.






















Es sei zugegeben. Ganz Zufall ist es nicht, dass die beiden letzten Beispiele von Unternehmerinnen sind, die ihre eigene Unternehmung gegründet haben und ihrer Firma dann eine Geschichte unterlegt haben. Es könnte nämlich sein, dass Frauen einen einfacheren Zugang zu Geschichten haben und zu Authentizität. 

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